Alle Anwältinnen und Anwälte haben die gleiche Ausbildung genossen und sind unabhängiges Organ der Rechtspflege. In der konkreten Ausgestaltung des Berufs gibt es jedoch erhebliche Unterschiede. Die selbständigen Mitglieder der Anwaltschaft belächeln die angestellten, die kein unternehmerisches Risiko tragen wollen. Die niedergelassenen Kollegen und Kolleginnen halten die Syndikusrechtsanwälte und -anwältinnen für nicht gleichwertig: Denen gehe es nur um die Altersvorsorge. Wer die Robe griff bereit im Flur hängen hat, der hält nur jene für gleichwertig, die ebenfalls forensisch tätig sind. Wer modern und Legal Tech-affin ist, versteht nicht, dass andere noch zu festen Bürozeiten auf dem Festnetz erreichbar sind. Wer schon im ersten Berufsjahr 160.000 Euro im Jahr verdient, wundert sich über die, die für weniger als die Hälfte morgens aufstehen.
Die Darstellung mag übertrieben sein. Dennoch betonen wir häufig Unterschiede und nicht die Gemeinsamkeiten. Jede von uns wähnt sich dabei auf der richtigen Seite der Anwaltschaft. Oder wir bleiben gleich unter unsersgleichen und nehmen die anderen Anwälte und Anwältinnen gar nicht wahr. Die verschiedenen Verbände, die dem DAV seit einiger Zeit Konkurrenz machen (der Bund der Unternehmensjuristen als größte Interessenvertretung für im Unternehmen tätige Anwälte und Anwältinnen oder der kürzlich gegründete Bundesverband der Wirtschaftskanzleien in Deutschland), manifestieren dieses Auseinanderdriften. Ist das eine gute Entwicklung?
Natürlich sind unsere Bedürfnisse verschieden. Umso wichtiger ist es, dass wir miteinander sprechen, um die Herausforderungen der anderen zu verstehen. Wer als Anwalt oder Anwältin viel Geld verdient, kann sicherlich stolz auf sich sein. Dahinter steckt harte Arbeit, in der Ausbildung und innerhalb der Kanzlei. Stolz können aber auch diejenigen sein, die unter Verzicht auf höhere Erwerbschancen für geringe RVG-Gebühren Pfl egebedürftige oder Flüchtende beraten. Wer lieber angestellt arbeitet, sollte den anderen Mitgliedern der Anwaltschaft Respekt für ihre unternehmerischen Leistungen zollen. Wer niedergelassen ist, sollte sich mit Syndikusrechtsanwälten und -anwältinnen austauschen, um besser nachzuvollziehen, welche Erwartungen Unternehmen an Rechtsberatung haben.
Nur unser Verständnis füreinander bietet die Gewähr, dass wir zusammenhalten, wenn es um den Schutz anwaltlicher Grundwerte und die Bewahrung der Rechtsstaatlichkeit geht.
#Peter Mustermann